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Thomas Kälberlohs Faszination an alten Postkarten, die er seit vielen Jahren auf Flohmärkten und über das Internet sammelt, zeigt immer wieder überraschende Ergebnisse. Es begann mit der Serie „Kleine Idyllen“, Übermalungen alter Postkarten, auf denen sich dokumentarische Bilder von Landschaften und Architekturen zu zeitgenössischer Miniaturmalerei mit ganz eigener Aussage wandelten, die wie Präziosen wirken. Danach zog Kälberloh Ansichtskarten ins größere Format, indem er sie abfotografierte, vergrößert auf Aludibond montierte und wieder übermalte, womit er in das Genre der Tafelmalerei eintrat. Unter dem Ausstellungstitel „Arkadien“ zeigten wir sie in seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie im Jahr 2019. Der Fokus lag auf der konstruierten Idylle, einer übernatürlichen, idealen, romantischen Sphäre, die in den Werken Kälberloh‘s leicht eine sarkastisch-ironische, häufig komische Wendung nimmt. Dazu entstand eine dritte Gruppe von Werken, die sog. „Ikonen“. Hier richtete Kälberloh sein Augenmerk auf die Personen, die bis zur Neuregelung der Bildnisverwertung die meisten Ansichtskarten bevölkerten. Er isolierte und vergrößerte die zufällig Abgelichteten und stellte sie vor Goldhintergrund frei. Durch seine malerischen Eingriffe schuf er ihnen eine Bühne, auf der sie mit ihren verschiedenen Körperhaltungen und Gesten, ihren zum Zeitpunkt der Aufnahmen modernen Kleidung und Accessoires in einem neuen Narrativ als Hauptfigur wirken.
Auch in der aktuellen Ausstellung spielen diese Serien und Erzählweisen eine Rolle. „Entfernte Ort“, so der Titel der neuen Ausstellung, legt den Fokus einerseits auf das Thema der Übermalung, im Wortsinn von „entfernen“. Auf der anderen Seite aber auch auf das Thema der Kommunikation zwischen zwei Orten, darauf, dass Bildpostkarten „entfernte Orte und Zeiträume miteinander in Beziehung (…) setzen“. So sind die Arbeiten von den City Hochhäusern zu verstehen, die bis letztes Jahr vis à vis der Galerie auf der Grenze zum Kontorhausviertel standen. Kälberloh ging von alten Ansichtskarten aus, die den Stolz der Stadt der frühen 60er Jahre für die Gebäude belegen, denn in der Stadtplanung dieser Zeit galten die vier parallel gestellten hochstöckigen „Scheiben“, dessen Fassaden ursprünglich mit gelblichem Travertin verziert waren, als Ausdruck modernster Stadtarchitektur. In seinen Übermalungen lässt Kälberloh die Gebäude in einem Farbnebel auftauchen, die an die intendierte und vermutlich einzige Wahrnehmung der meisten erinnert, nämlich als Großbauten an einer der Ausfallstrassen an einer der Hauptachsen von Hamburg, auf der man schnell vorüberfuhr.
Das Thema betrifft auch die für heutige Zeit verwunderlichen Bildpostkarten zerstörter Brücken aus der Gegend von Riga im ersten Weltkrieg. Was heute über Whatsup, Instagram und Facebook kommuniziert wird, deckte damals offenbar auch die Postkarte ab. Kälberloh interessierte in diesen Ansichtskarten die Analogie von Brücke und Beziehung, die der Absender und Empfänger mit dem Schreiben einer Postkarte zum Ausdruck bringt. Hinzu kommt die Verbindung zweier Gegenden, die durch die abgebildeten Zerstörungen unterbrochen ist. Kälberloh fokussiert die neu entstandenen komplexen Konstruktionen, die offensichtlich auch den damaligen Fotografen zu einer eigenartigen, am Ruinenkult anknüpfenden Ästhetik inspirierten. Kälberloh entwickelte diesen schon vom Fotografen ursprünglich angelegten Kommentar über die Wirklichkeit in seinen Landschaftsbildern fort. „Et ego in Arcadia“?: Auch ich – der Tod – bin in Arkadien? Der Zeitenlauf hat diese 2021 begonnen Bilder eingeholt und die entfernten Orte und Zeiträume in eine neue Beziehung gesetzt.
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Thomas Kälberloh’s fascination with old postcards, which he has been collecting at flea markets and via the Internet for many years, always shows surprising results. It began with the series „Little Idylls“, overpaintings of old postcards, on which documentary images of landscapes and architecture were transformed into contemporary miniature paintings with their own statement, which seem like precious things. Kälberloh then enlarged postcards by photographing them, mounting them on Aludibond and painting them over again, thereby entering the genre of panel painting. Under the exhibition title „Arkadien“ we showed them in his first solo exhibition in the gallery in 2019. The focus was on the constructed idyll, a supernatural, ideal, romantic sphere, which in Kälberloh’s works easily has a sarcastic-ironic, often takes a funny turn.
In addition, a third group of works was created, the so-called “icons”. Here, Kälberloh focused his attention on the people who populated the most postcards until the new regulation on the use of portraits. He isolated and enlarged the randomly photographed subjects and set them free against a gold background. Through his painterly interventions, he created a stage for them on which they appear as the main character in a new narrative with their various postures and gestures, their clothing and accessories, which were modern at the time of the recording.
These series and narrative styles also play a role in the current exhibition. “Distant Place”, as the new exhibition is entitled, focuses on the one hand on the topic of overpainting, in the literal sense of “to remove”. On the other hand, however, also on the topic of communication between two places, on the fact that picture postcards „connect distant places and periods of time with each other“. This is how the works of the City high-rises are to be understood, which stood opposite the gallery on the border to the Kontorhaus district until last year. Kälberloh started with old postcards that show the pride of the city in the early 1960s for the buildings, because in the city planning of that time the four high-storey „panes“ placed parallel to each other, whose facades were originally decorated with yellowish travertine, were considered an expression of the most modern city architecture . In his overpaintings, Kälberloh lets the buildings appear in a haze of color, reminiscent of the intended and probably only perception of most, namely as large buildings on one of the arterial roads on one of Hamburg’s main axes, which one quickly drives past.
The subject also applies to the picture postcards of destroyed bridges from the Riga area during the First World War, which are astonishing today. What is communicated today via Whatsup, Instagram and Facebook apparently also covered the postcard back then. In these postcards, Kälberloh was interested in the analogy between bridge and relationship, which the sender and recipient express by writing a postcard. In addition, there is the connection between two areas, which is interrupted by the destruction shown. Kälberloh focuses on the newly created complex constructions, which obviously also inspired the photographer of the time to create a unique aesthetic that was linked to the cult of ruins. Kälberloh continued to develop this commentary on reality, which the photographer had originally created, in his landscape pictures. „Et ego in Arcadia“?: I too – the death – am in Arcadia? The passage of time has caught up with these images, which began in 2021, and placed the distant places and periods of time in a new relationship.