„Ein Tag im Leben von“
Fabian Hesse, Thomas Kälberloh, Cousteau Tazuke
Skulptur und Malerei
Eröffnung : 12. Februar 2015, 19 – 21 Uhr
Dauer der Ausstellung: 13. Februar 2015 – 4. April, 2015
17. März 2015, 18.30: 3. Galerie-Gespräch organisiert von Stefanie Strasburger (Strasburger Kreise) mit Fabian Hesse
20. März 2015, 18.30: Mit Thomas Kälberloh spricht Frau Dr. Petra Roettig (Leitung Galerie der Gegenwart, Hamburger Kunsthalle)
In der Ausstellung „Ein Tag im Leben von“ befragen drei Künstler – Fabian Hesse, Thomas Kälberloh und Cousteau Tazuke – durch Übermalen, Transformieren und Überlagern in ihren Arbeiten Grenzen und Bezugssysteme der Kunst.
Durch die Beschäftigung mit unterschiedlichen Phänomenen des Bildlichen – vom klassischen Stillleben bis zur antiquarischen Postkarte bekannter Feriendomizile, erforscht Thomas Kälberloh malerisch deren Auflösung. Hierbei entfernt er sich von der Gegenständlichkeit und nähert sich einer immer größer werdenden Abstraktion an, die einen neuen Interpretationsspielraum zulässt.
Ausgehend von dem Begriff des „asaroton“ , einer Mosaikform des 2. Jh v. Chr, das den ungefegten Fussboden mit Essensüberresten zum Thema hat, fragt sich Kälberloh: Was passiert, wenn ein Aufbau, ein festgefügtes und in vielen Bezugssystemen eingebundenes Arrangement wie „Stillleben“ umgestoßen wird und auf dem Boden landet? Durch dunkel gehaltene Farbtöne erfahren seine Stillleben eine Art der Melancholie, die gleichzeitig eine besonnene Form der Ruhe ausstrahlen. Abstrakte Figuren, die entfernt an eine Tischkante oder Blütenblätter erinnern, sind in konträren Farben aufgetragen und wirken wie durch Nebelschleier gesehen. Kälberlohs Fussböden wirken wie gewischt, auf denen nur mehr geisterhaft die Überreste von Blumensträußen und Tischarrangements zu sehen sind, als ginge es um das Ende des Themas „Stillleben“.
Mit ironischen Mitteln, werden auch die Geschichten der auf Flohmarkt gefundenen Postkarten neu erzählt. Durch Übermalen zentraler Bildelemente wird die eigentliche Intention einer Postkarte, das Erinnern an einen bereisten Ort, gestört. Das Wort „Ansichtskarte“ bekommt in Kälberlohs Werk eine zusätzliche Bedeutung: Ansichten und Erinnerungen können neu, hier auffallend unbeschwert gedacht werden.
Dass nicht nur das Bildliche verschwinden kann, zeigt Kälberlohs Werkreihe „Orest“, in der er Wörter und Schriften der tragischen Figur der griechischen Mythologie übermalt und so nicht nur das Visuelle, sondern die Erzählung selbst vernichtet. Das Weglassen der Sprache, führt auch hier zu einer Neuinterpretation, wobei zugleich das betont wird, was bereits vergessen geglaubt wurde.
Ähnlich wie Thomas Kälberloh mit seinen Übermalungen betreibt Fabian Hesse ein Spiel mit der Verfremdung. Doch anders als bei Kälberloh geht es hier nicht um ein Auslöschen des Vorherigen, sondern vielmehr um Transformation des ursprünglichen Materials, von immateriellen, ungreifbaren Daten in eine physische Existenz. Hesse experimentiert mit 3D-Druckern und lässt Daten zu abstrakten Skulpturen wachsen. Dazu nimmt er Datensätze aus seinem E-Mail Account, zB Spam-Mails, aus Dokumenten von Edward Snowden oder aus einem Smart-Phone und verfremdet sie so, dass keine eindeutige Informationen mehr bestehen. Im Zusammenspiel mit Open-Hardware Druckern, deren Baupläne er umgestaltet, entstehen computergenerierte Objekte, die wie nicht bestimmbare und nur schwer beschreibbare Skulpturen anmuten. Sie sind fragil, oft aber zugleich auch kantig und wirken teilweise brutal. Es vermischen sich das Exakte mit dem Unbestimmbaren, das Materielle mit dem Immateriellen. Hesses Interesse liegt hier im postmodernen Diskurs um eine Wissensgesellschaft, in der Informationen als Machtinstrument dienen. Der Kampf um Informationen entwickelt sich durch neue Technologien zu einer immer größer werdenden Frage nach Herrschaft und Kontrolle. Seine Werke zeugen vom Wahnsinn der Überwachung, der mit der Gier nach Speicherung von Daten einhergeht, aber auch von der Faszination der Räume des Cyberspace und Internets mit von ihnen ausgehenden Veränderungen. Der Künstler agiert als Bildhauer, der nicht mit seinen Händen formt, sondern ihm verfügbare Datenmengen mittels neuer Technologien wie eben den 3D-Druckern ein Gesicht gibt, in einem Fall sich mit einem Werk der Bildhauerei auseinandersetzend: Hesse stellt in der digitalen Weiterbearbeitung des archäologischen 3D-Scans der „Venus von Willendorf“, der weichen, durch ausladende Formen charakterisierten berühmten österreichischen Steinzeit-Skulptur, eine Fruchtbarkeitsfigurine des 21. Jahrhunderts gegenüber. Der „Venus von Willendorf Remix“ wachsen plissierte, kristallin wirkende Flächen und kompakte Strahlen aus dem üppigen Körper.
Der aus Osaka stammende Cousteau Tazuke arbeitet ebenfalls mit neuen Technologien. Er erkundet Mischformen von Objekt und Malerei. Tazuke ritzt durchsichtige Akrylplatten an, füllt die entstehenden Hohlräume mit acidhaltiger Farbe an. Am Ende stellt er sie mit ihrer Rückseite aus, auf diese Weise Vorder- und Rückseite – Positiv- und Negativ- Form – vermischend. Sichtbar wird ein Netzwerk von streng geometrischen Linien. Die Beziehung zwischen Oberfläche und Raumtiefe wirkt komplex. Mit unterschiedlichen Methoden, wie linear perspektivischen Verkürzungen, Verrücken des Mittel- und Brennpunktes oder einer enormen Anhäufung sich überschneidender Linien, ist jedes Werk auf seine eigene Weise darauf ausgerichtet, grenzenlose Unendlichkeit zu generieren und das Gefühl eines riesigen komprimierten Raumes zu evozieren. Während die geritzt/gemalte Linien in den Acryl- Platten „Endlosigkeit“ beschreiben, zieht die hochglänzende Oberfläche der Stücke den Blick des Zuschauers auf und in das darunterliegende Gitterwerk und zieht allmählich den ihn umgebenden wirklichen Raum in seine Tiefen mit sich.
Fabian Hesse (*1980 in Augsburg) lebt und arbeitet in München. 2004-12 Studium an der AdBK München, Meisterschüler bei Prof. Olaf Metzel, Abschluss Diplom; 2007 – 08 Studium an der AdBK Wien bei Prof. Heimo Zobernig. 2003 – 04 Architekturstudium an der TU Berlin. Er erhielt u .a. folgende Preise/Stipendien: Bayerische Debütantenförderung (2014); BangaloREsidency, Jaaga, Goethe Institut, Bangalore / Indien (2013); Kunstpreis des Bezirks Schwaben (2013); Residency bei Nucleo, Gent (2012). Seine Arbeiten waren zuletzt u. a. in folgenden Ausstellungen vertreten: We are here because…, Weisses Haus Wien; Die Irregulären – Ökonomien des Abweichens, NGBK Berlin (2013); Tacker, Galerie der Künstler, BBK, München (2013); GENERAL EXCHANGE, Transmission Gallery, Glasgow (2012); Rumore, Le Murate und Villa Romana, Florenz (2012); Eure Armut kotzt mich an!, Galerie KUB, Leipzig (2011). Hesse ist zudem Beitragender zahlreicher Publikationen und Wokshops.
Thomas Kälberloh (*1957 in Essen), lebt und arbeitet in Hamburg. 1981-83 Studium an der HAW Hamburg; Ausstellungen u.a. 2014 Werkheim Hamburg, 2013 Kunst im REE, Heizwerk Bille, Hamburg, 2011 Kulturforum Lüneburg, 2009 GLS Bank, Berlin, 2005 Kunstdialog Hamburg-Köln-Berlin, Kleisthaus Berlin
Cousteau Tazuke (*1982 in Osaka, Japan) lebt und arbeitet in Tokio. 2007 Tama Art Univ., Dep. of Graphic Design, B.A., 2010 Tama Art Univ., Dep. of Painting, M.A., Ausstellungen u.a. 2014 “The Notching Images”, Frantic Gallery Tokio, 2012, “OUT of FLAT” Galerie Hengevoss-Dürkop, 2011 “Alternativ Lines”, Frantic Gallery Tokio, 2010 “Structure beyond Function”, Traditional Japanese Sake Storehous, Kamakura, 2009 “circle”, CCAA, Tokio, “Graduation works Exhibition”, The National Art Center, Tokio
Employing the methods of overpainting, transformation, and superimposition, in the exhibition Ein Tag im Leben von / A Day in the Life of, the three artists Fabian Hesse, Thomas Kälberloh, and Cousteau Tazuke challenge the boundaries and reference systems of art in their works.
With a focus on various forms of pictorial representation, extending from classical still lives to old postcards of popular vacation destinations, Thomas Kälberloh is investigating the dissolution of these phenomena in his paintings. In the process, he departs from figuration proceeding to increasingly abstract renditions that permit new scope for interpretation. Ensuing from the “asaroton,” a type of mosaic from the 2nd century BC that depicts an unswept floor soiled with debris of food, Kälberloh asks himself what happens when a construct, a firmly established arrangement such as a still life that is interwoven in many frames of reference is knocked over and lands on the floor? Through the dark tones that define them, his still lives are imbued with a kind of melancholy, while simultaneously exuding a particular tranquility. Abstract figures that faintly recall the edge of a table or the petals of flowers are applied in contrasting colors, appearing as if perceived through a veil of mist. Kälberloh’s floors look as if they had been wiped clean. Wraithlike remnants of flower bouquets and table arrangements are to be seen, as if the artist was evoking the end of the still life as subject matter.
The stories of the postcards found at flea markets, in turn, are retold through ironical means. In overpainting central pictorial elements, the actual intention of a postcard, namely to evoke a site visited on a journey, is disrupted. The term “picture postcard” takes on an additional meaning in Kälberloh’s work: visualizations and recollections can be conceived here in a new, remarkably unburdened manner. The fact that not only pictorial aspects are subject to dissolution is revealed in Kälberloh’s series of works entitled Orest, where the artist has overpainted the words and writings of the tragical figure of Greek mythology, thus not only destroying the visual element, but the narrative itself. Here as well, the omission of language leads to a new interpretation, while at the same time that which had been already been deemed forgotten is emphasized. In a manner similar to that of Thomas Kälberloh’s procedure of overpainting, Fabian Hesse also plays with methods of disruption and alienation. Yet contrary to Kälberloh, the artist’s objective is not an obliteration of a precedent visualization, but rather a transformation of the original material, a transposition of immaterial, intangible data into a form of physical existence. Hesse experiments with 3-D printers, letting data grow into abstract sculptures. For this process, the artist extracts data from his email account, from spam mails for instance, from documents compiled by Edward Snowden, or from his smart phone, modifying them in such a manner that clearly recognizable information no longer exists. Interacting with open hardware printers, whose construction plans he reconfigures, he creates computer-generated objects, indefinable sculptures that are difficult to describe. These are fragile, yet simultaneously frequently angular, partially even appearing brutal, and conflating the precise with the indeterminable, the material with the immaterial. Here Hesse’s interest lies in the post-modern discourse revolving around a knowledge-based society in which information serves as an instrument of power. Through new technologies the struggle for dominance over information is increasingly developing into a question of power and control. His works bear witness to the mania of surveillance that accompanies the greed for storing data, but also testifies to the fascination with the expanses of cyberspace and the Internet, and with the massive changes these have engendered. The artist acts as a sculptor who does not form matter with his hands, but rather gives mounds of data a form through new technologies such as the 3-D printer, in one case explicitly addressing an eminent work of sculpture: In his digital rendition of the archeological 3-D scan of the Venus of Willendorf, he counters the famous Austrian Stone Age sculpture characterized by soft, expansive forms with a fertility figurine of the 21st century, from whose voluptuous body pleated, crystalline surfaces and compact rays emerge.
Cousteau Tazuke, who was born in Osaka and resides in Tokyo, also employs new media in his works. He explores hybrid forms conjoining sculpture and painting. Tazuke cuts notches into transparent acrylic panels and fills the resulting cavities with acidic pain. Finally, the layered objects are presented from the back, thus bringing together front and reverse sides, positive and negative forms, and revealing an intertwining grid of strict geometrical lines. The interrelationship between the surface and the spatial depth of the objects is highly complex. Based upon various methods, such as linear perspective contraction, a shifting of the vanishing or focal point, and an enormous accumulation of intersecting lines, the works are designed to generate the notion of boundless infiniteness and to evoke the impression of a gigantic compressed space in their respective individual manner. While the incisions/painted lines on the acrylic panels evoke “infinity,” the high-gloss surfaces of the sculptures draw the viewer’s attention to and into the underlying grid, absorbing the surrounding real-life space into its depths as well.
Fabian Hesse (*1980 in Augsburg) lives and works in Munich. Studied 2004–2012 at the AdBK Munich (Prof. Olaf Metzel, graduate diploma, 2012); 2007–2008 at the AdBK Vienna (Prof. Heimo Zobernig); Architectural studies 2003–2004 at the TU Berlin. Awards/grants, among others: Bayerische Debütantenförderung (Bavarian Debutant Award, 2014); BangaloREsidency, Jaaga, Goethe Institute, Bangalore / India (2013); Kunstpreis des Bezirks Schwaben (Art Award of the District of Swabia, 2013); Residency at Nucleo, Gent (2012). Recent exhibitions: We are here because…, Weisses Haus Wien Die Irregulären – Ökonomien des Abweichens, NGBK Berlin (2013); Tacker, Galerie der Künstler, BBK, Munich (2013); GENERAL EXCHANGE, Transmission Gallery, Glasgow (2012); Rumore, Le Murate and Villa Romana, Florence (2012); Eure Armut kotzt mich an!, KUB Gallery, Leipzig (2011).
Thomas Kälberloh (*1957 in Essen), lives and works in Hamburg. Studied 1981-83 HAW Hamburg; Exhibitions, among other venues at Werkheim Hamburg (2014), Kunst im REE, Heizwerk Bille (2013),Kulturforum Lüneburg (2011), GLS Bank, Berlin (2009), Kunstdialog Hamburg-Köln-Berlin, Kleisthaus Berlin (2005).
Cousteau Tazuke (*1982 in Osaka, Japan) lives and works in Tokyo. B.A. in 2007 at Tama Art University, Department of Graphic Design; M.A. in 2010 at Tama Art University, Department of Painting. Exhibitions of his work (selection): The Notching Images, Frantic Gallery Tokyo (2014), OUT of FLAT, Galerie Hengevoss-Dürkop (2012), 2011 Alternative Lines, Frantic Gallery Tokyo (2011), Structure beyond Function, Traditional Japanese Sake Storehouse, Kamakura (2010), circle, CCAA, Tokyo (2009), Graduation Works Exhibition, The National Art Center, Tokyo (2007).